Anne M. Schüller im Interview

"Wer in der Krise nicht mitagiert, wird weginnoviert"

Anne M. Schüller ist Managementdenkerin, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Wir haben mit ihr über Management-Tugenden in der Corona-Krise gesprochen. Gerade jetzt sind  Schwarmintelligenz und Fehlerkultur gefragt, denn das Konsumverhalten ändert sich rapide. Ihrer Meinung ist aber insbesondere der Möbelhandel vielfach noch sehr weit davon entfernt.

möbel kultur: Frau Schüller, strukturelle Schwächen eines Geschäftsmodells wiegen in Corona-Zeiten doppelt schwer. Welche Entwicklung sehen Sie?

Anne M. Schüller: Krisen sind zwar immer dramatisch, aber sie öffnen auch Türen. Und sie halten Chancen parat. Überall auf der Welt definieren Visionäre gerade das Mögliche neu. Sie vernetzen Technologien und kombinieren das Virtuelle mit der realen Welt. Wer da nicht mitagiert, wird weginnoviert. Hierzu braucht man neuartige, originelle, unkonventionelle Vorstöße und Initiativen. Indem man die „Ideenfunken“ seiner konstruktiven Freigeister, Quer- und Weiterdenker einfallsreich nutzt, macht man sich spannend – und damit begehrlich. Man kann gar nicht genug verrückte Ideen haben, um seine Kunden immer wieder neu zu betören. Und man braucht viele solcher Ideen. Denn nur, wer viel würfelt, der würfelt am Ende auch Sechser.

möbel kultur: Welcher Wandel zum Besseren kann in der aktuellen Situation liegen?

Anne M. Schüller: Da gibt es immer nur eine Antwort: Man muss verstehen, wie der Kunde tickt und was er aktuell will. So hat sich im Zuge der Pandemie das Kundenverhalten deutlich gewandelt. Alles wurde digitaler. Vorrecherche und Vorauswahl, bisweilen sogar der komplette Kaufprozess, finden nun Online statt. Zudem sind viele Menschen umweltsensibler und wertebewusster geworden. Sie hinterfragen, wofür ein Anbieter steht und wie er es mit ökologischen und sozialen Aspekten hält.

möbel kultur. Und was sind jenseits von Corona die ganz großen Trends?

Anne M. Schüller: Individualisierung, Emotionalisierung, Erlebniswelten und die selbstverständliche Verknüpfung von Online mit Offline, das sind fortan die ganz großen Trends. Früher hatten alle die gleiche Schallplatte, heute hat jeder seine ganz persönliche Playlist. Will heißen: Die Kunden von heute wollen keine Massenprodukte und Gleichmacherei, sondern Originalität, Vielfalt und Varianz. Sie pflegen einen individuellen Lifestyle und erwarten eine perfekte Customer Experience. All das natürlich so schnell, so bequem und so unkompliziert wie nur möglich. Wer auf diese Kundenbedürfnisse eingeht, sorgt für Loyalität, für Weiterempfehlungen und für Aufpreisbereitschaft.

möbel kultur: Wie kann ein Vorgesetzter die Kreativität seiner Mitarbeiter fördern?

Anne M. Schüller: Dafür braucht es vor allem zweierlei: die Erlaubnis zum Widerspruch und Freiraum fürs Experimentieren. Doch manche Obere glauben leider noch immer, sie müssten alles selbst am besten wissen und ihren Leuten sagen, wie die Dinge zu laufen haben. Sie können sich schlecht auf fremde Sichtweisen einlassen und nur schwer akzeptieren, wenn auch andere mit Einfällen glänzen. Dabei gelingt es am besten gemeinsam, Ideen zu entwickeln, die zuvor noch niemand hatte, und auf die man allein nicht gekommen wäre. Wenn genügend kluge Köpfe zusammenkommen, lässt sich jedes Problem lösen.

möbel kultur: Was ist bei einer solchen „Erlaubniskultur zum Experimentieren“ speziell zu beachten?

Anne M. Schüller: Mitarbeiter geben ihre Ideen nur dann preis, wenn sie glauben, dass diese Wertschätzung erfahren. Und wenn sie wissen, dass Fehler kein Beinbruch sind. Denn Fehler sind der Preis für Evolution und Innovation. Fehler machen bedeutet: Üben, um siegen zu lernen. Mit einer solchen Einstellung können bahnbrechende Erfolge gelingen. Das Scheitern gehört beim Experimentieren zwangsläufig dazu. Im Neuland gibt es keine Erfolgsgarantie. Dort wird man sich auch verlaufen. Aber wie heißt es so schön: Wer sich nie verirrt, findet auch keine neuen Wege.

möbel kultur: Welchen Tipp geben Sie dem Möbelhandel im Besonderen?

Anne M. Schüller: Etwas, was mir besonders im Möbelhandel sehr oft auffällt, ist der Konkurrenzgedanke auf der Fläche. Jeder will für sich erfolgreich sein. Die in der Sharing-Economy sozialisierten jungen Unternehmer haben hingegen schon längst verstanden, wie arm man bleibt, wenn man alles für sich behält, und wie reich man wird, wenn man teilt. Wenn es zum Beispiel zehn Verkäufer gibt und alle teilen ihre jeweils besten verkäuferischen Tipps miteinander, dann kann nicht nur jeder Verkäufer sehr viel erfolgreicher werden, auch das Unternehmen als Ganzes profitiert kräftig davon.

möbel kultur: Und wenn man neue Ideen braucht, wie geht man das ganz konkret an?

Anne M. Schüller: Am besten funktioniert das, wenn abteilungs- und hierarchieübergreifend so viele Mitarbeiter wie möglich in einem geschützten Raum gemeinsam Ideen entwickeln können. Zu Beginn braucht es eine Prise „Verrücktheit“, also überzogene, gewagte, kuriose, spektakuläre, skurrile Ausgangsideen. Solche Ideen sind oft die beste Basis für außergewöhnlich gute Ideen. Zudem lernt man nicht nur von guten, sondern auch von schlechten Ideen. Insofern hat jeder funktionierende Kreativprozess zwei voneinander getrennte Phasen: die Phase der Ideenfindung und die Phase der Überführung in die Realität. Ziehen Sie zu einem möglichst frühen Zeitpunkt auch Kunden hinzu, damit diese als zusätzliche Ideenlieferanten und/oder Feedbackgeber fungieren.

 

Das Buch zum Thema:

Anne M. Schüller

Querdenker verzweifelt gesucht - Warum die Zukunft der Unternehmen in den Händen unkonventioneller Ideengeber liegt

Mit einem Vorwort von Gunter Dueck

Gabal Verlag 2020, 240 Seiten, 29,90 Euro

ISBN: 978-3-86936-998-3

 

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