Die Branchenwerkstatt war hochkarätig besetzt: Verleger Jörn Holzmann, Dr. Philipp Kreibohm , Dr. Timo Renz, Philipp Prechtl, Heidrun Brinkmeyer, Rüdiger Schliekmann, Gerd Hoppe, Dr. Ingo Ederer, Dr. Andreas Hettich und Wilfried Niemann (v. l.). Foto: Yakup Zeyrek

3. Branchenwerkstatt bei Hettich

Warum die Möbler schneller und individueller werden müssen

Vor voll besetztem Haus fand gestern im Hettich Forum in Kirchlengern die 3. Branchenwerkstatt von Dr. Wieselhuber & Partner (W&P) statt, die in Kooperation mit der "möbel kultur" sowie den Verbänden der Holz- und Möbelindustrie NRW veranstaltet wurde. Als Referenten gab es diesmal nicht nur das "Who-is-who" der Möbel- und Zulieferindustrie: Unter der Schirmherrschaft des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums nutzten auch Vertreter aus der Mode-, Automobil- oder Automatisierungsbranche die hochkarätige Plattform für einen branchenübergreifenden Dialog.

Auf der deutschen Möbelindustrie lastet ein starker Wettbewerbs- und Preisdruck. Die Forderung der Kunden nach mehr Exklusivität und schnellerer Auslieferung von Neuheiten, der zunehmende Importdruck aus Osteuropa, steigende Online-Anteile sowie starke und wachsende Zulieferer forcieren die Konzentration auf Hersteller-, Handels- und Verbandsseite zunehmend. Wie können Unternehmen diese Trends aufnehmen, damit Tempo machen und so den Takt im Markt angeben? Dazu gab es aufschlussreiche Vorträge und spannende Diskussionsrunden.

Das erste, brandheiße Werkstatt-Thema drehte sich um Industrie 4.0. Branchenexperte und W&P-Partner Dr. Timo Renz führte durch das Programm und machte zu Beginn klar: An aktuellen technischen Umbrüchen und einem veränderten Konsumentenverhalten muss die Möbelbranche noch wachsen. Vor allem an Industrie 4.0 kommt sie nicht vorbei. In Zukunft wird es immer mehr darauf ankommen, schnell und kundenindividuell zu fertigen. Und auch wenn die "Vierte industrielle Revolution" der Möbler noch in den Kinderschuhen steckt: Die ersten Losgröße-1-Anlagen sind die Vorboten eines anstehenden Paradigmenwechsels. Mittelfristig wird die Industrie 4.0 herkömmliche Prozessketten und damit Unternehmens- und Branchengrenzen aufbrechen. So werden völlig neue Player wie spezialisierte Produktionsdienstleister mit hochautomatisierten Anlagenparks im Markt mitspielen, prognostiziert Daniel Fuchsberger, Leiter des Geschäftsbereichs Operations bei W&P: "Wenn Möbelhersteller und der Möbelhandel mit dem stark wachsenden Online-Geschäft Schritt halten wollen, müssen sie deutlich schneller werden - Industrie 4.0 ist deshalb eine große Chance für die gesamte Branche."

Eine Podiumsdiskussion mit Dr. Andreas Hettich (Vorsitzender der Geschäftsführung der Hettich Holding), Dr. Ingo Ederer (CEO Voxeljet) und Rüdiger Schlieckmann (Geschäftsführer der IMA Klessmann), moderiert von Gerd Hoppe (Mitglied der Geschäftsleitung der Beckhoff Automation), unterstrich aber auch: Industrie 4.0 bedeutet nicht ausschließlich und automatisch die Herstellung von Losgröße 1. Durch die Möglichkeit der individuellen Fertigung komplexer Produkte in Verbindung mit kurzen Produktionszeiten nimmt vielmehr der Wunsch des Kunden nach Variantenvielfalt bei gleichzeitig schnellerer Auslieferung deutlich zu. Anbieter, die diesem Wunsch nicht entsprechen können, werden im Wettbewerb auf der Strecke bleiben.

Tempo alleine reicht aber nicht aus, um sich als Marktführer zu behaupten. Nur wer durch Innovationskraft "echte Exklusivitäten wachküsst", könne im Markt künftig auch den Takt angeben, weiß W&P-Partner und Leiter des Innovationsbereiches Johannes Spannagl. Dafür müssten Möbler vermehrt branchenübergreifende Ideenquellen - zum Beispiel Open Innovation Plattformen - anzapfen. "Durch vernetztes Denken und Handeln sowie eine gemeinsame Vision kann man über die begrenzten Möglichkeiten der "Eigen-Optimierung" hinauswachsen und das Innovationsniveau steigern. Tempo heißt also nicht einfach nur "Gas geben", sondern erfordert zielgerichtetes Vorgehen", so Gastgeber Dr. Andreas Hettich.

Individuelle Kundenwünsche sollten dabei ebenso im Zentrum der Innovationsfähigkeit stehen - so der Tenor einer weiteren Podiumsdiskussion, moderiert von Jörn Holzmann (Herausgeber der möbel kultur), Philipp Prechtl (Head of Retail Jack Wolfskin), Dr. Philipp Kreibohm (Geschäftsführer und Gründer Home24) sowie Heidrun Brinkmeyer (Geschäftsführende Gesellschafterin Ballerina Küchen) waren sich einig: Damit Individualisierung in der Möbelbranche auch "funktioniert", müssen die Bedürfnisse und Wünsche des Kunden zur essentiellen Basis der Produktentwicklung werden. Eine aktuelle W&P-Studie zeigt entsprechend: Eine um 35 Prozent höhere Integration von Kundenwissen in den Innovationsprozess erhöht den durchschnittlichen Neuproduktanteil um 37 Prozent.

Die steigende Variantenvielfalt trifft nicht nur die gesamte Möbelbranche, sondern auch die Automobilproduktion in hohem Maße, wie der abschließende Key-Note-Speaker Dr. Stefan Niemand, Leiter Produktplanung Audi AG, ausführte. Seine Empfehlung: Ein durchgängiges Komplexitätsmanagement auf Basis einer Baukasten- und Modulstrategie mit den Erfolgsfaktoren Ordnung, Transparenz und finanzieller Bewertung.

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