„1860 sind in Deutschland zwei wichtige Dinge passiert“, sagt Tino Seidel immer, wenn er Schülergruppen durch seine Einrichtungshäuser führt. „In München ist ein Fußballverein gegründet worden und im Vogtland ist die Firma Seidel eingetragen worden.“ Wenn er dies scherzhaft sagt, schwingt gleichzeitig viel Verpflichtung mit. „Es ist okay, ein Möbelhaus zu verkaufen, wenn man es selbst aufgebaut hat. Aber wenn man eine Firma in fünfter Generation führt, ist es eine Passion und Freude diese weiterzuführen.“
Und so ist die Interliving Seidel Wohnwelt zwischen Plauen und Zwickau wohl der letzte mittelständische Vollsortimenter, der sich am Markt behauptet. Der Hauptstandort liegt in Auerbach im Vogtland (12.000 qm inklusive Küchenwelt), dann gibt es noch die Filiale in Lößnitz im Erzgebirge (6.000 qm inklusive Küchenwelt) und das Küchenstudio in Chemnitz (1.500 qm).
Die Regionen, in denen Interliving Seidel agiert, sind eher ländlich geprägt, von Chemnitz mal abgesehen. Die Menschen bewegen sich überwiegend mit dem Auto. Das Durchschnittsalter ist höher, weil sich der Geburtenknick nach der Wende nun bemerkbar macht. Wirtschaftlich dominiert der Mittelstand, darunter einige Autozulieferbetriebe. Das Sortiment ist dementsprechend eher konservativ, auch wenn der Abstand zu den Metropolen mittlerweile abgenommen hat. „Früher kamen die Trends nach fünf Jahren bei uns an, das ist heute nicht mehr so. Durch das Reisen und die digitalen Medien sind die Menschen auch in unseren Gegenden up-to-date und wir verkaufen Marken wie Voglauer oder Decker sehr gut“, berichtet Tino Seidel. Natürlich fühlt man sich auch den ostdeutschen Marken verbunden, die sich nach der Wende so positiv entwickelt haben – Dietsch, Oelsa und Stralsunder sind bei den Kund:innen beliebt und die genannten Marken sind im Verband gelistet. Überhaupt kommt 95 Prozent der Ware, die Interliving Seidel vermarktet, über den Einrichtungspartnerring VME.
Tino Seidel fühlt sich im Verband auch als „kleinerer“ Gesellschafter sehr gut aufgehoben. Die digitalen Leistungen der Zentrale – von den automatisierten Preislisten bis zum verfügbaren Content in der Marketing-Box – nehmen dem Seidel-Team viel Arbeit ab. Die Ausschüttungskonditionen hält er ebenfalls für gerecht. Als die Warenmarke Interliving entstanden ist, war er begeistert. „Eine exklusive Marke mit stabilen Preisen und wertebasierendem Vermarktungskonzept. Diese Kombination hat mir auf Anhieb gefallen“, erinnert sich Tino Seidel. Schnell ist Interliving aber mehr geworden als das. Schon seit 2018 gehört Seidel zu den Partnern der Unternehmermarke. „Onboarding-Prozesse, Employer Branding, die Service-Standards – das und vieles mehr wird durch Interliving verbessert und es werden gemeinsame überregionale Standards gesetzt“. Tino Seidel ist davon überzeugt und deshalb Teil des Interliving-Beirats. Das Wichtigste für ihn ist der aktive Austausch mit den Kolleg:innen.
Im Zuge der Neuausrichtung ist es dem altehrwürdigen Handelsunternehmen gelungen, sich in den letzten Jahren zu verjüngen und ein Trading-up zu vollziehen. Im Küchensegment konnte der Durchschnittsbon von 6.000 Euro auf über 10.000 Euro gesteigert werden. Der SB-Bereich ist dagegen sukzessive verschwunden. Damit einher geht, dass fast alle Service-Leistungen wie z.B. Lieferung und Montage mit eigenen Mitarbeitenden – insgesamt sind es 85 – erbracht werden. „Wir müssen hochproduktiv sein, um bestehen zu können. Unser Credo ist inzwischen Klasse statt Masse.“ Deshalb hält er auch nichts von vollgepfropften Ausstellungen. „Das Gespräch zwischen Kund:innen und Verkäufer:innen muss authentisch und ehrlich sein. Wenn sich die Verkäufer:innen in der Ware wohlfühlen und fachlich fit sind, beraten sie besser und kommen dementsprechend eher zum Abschluss.“ Das ist auch der Ansatz im Bereich Küche: Die Abteilungen werden wie Fachmärkte geführt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, denn der Küchenanteil in der gesamten Firma liegt bei knapp über 50 Prozent. Fachsortimente, Teppiche, Outdoormöbel oder Lampen gibt es nicht. Bei Interliving Seidel liegt der Fokus auf Möbeln.
Das Wettbewerbsumfeld ist mit viel Fläche präsent. Biller in Plauen macht Druck, in Zwickau sitzt Porta, Höffner führt einen Standort in Chemnitz und Ikea mischt natürlich auch mit. Das hört sich zwar bedrohlich an, ist es aber nicht. „Damit kann man umgehen, denn sie sind berechenbar“, sagt Seidel mit der ihm eigenen Unaufgeregtheit.
So blickt er auch voller Realismus ins nächste Jahr. „Wir müssen mit zehn Prozent Minus rechnen, andererseits haben wir dann auch drei sehr gute Jahre hinter uns“, sagt Seidel. Der Auftragsvorlauf ist noch recht stark, insbesondere bei Küchen, sodass der Kalender bis Ende April 2023 durchgeplant ist. Die Strategie für das kommende Jahr: „Wir wollen die Gastgeberkultur herausstellen und pflegen“. Dazu zählt beispielsweise, den Namen der Kund:innen im Planungsgespräch auf dem Screen zu zeigen. Oder den Gast bei der Verabschiedung bis zur Treppe oder bis zur Kasse zu begleiten. Auch eine gute Kaffeemaschine gehört dazu. Es sind die kleinen Dinge, die den Unterschied machen und es hilft, sich darauf zu fokussieren. Was bedeutet dann schon Krise bei 163 Jahren Firmengeschichte?