Selten war eine Messe so aufgeladen wie die M.O.W. 2017. Die jüngste Verbandsfusion, ein katastrophales Sommerloch und die Alno-und Steinhoff-Turbulenzen haben die Veranstaltung im Vorfeld mit vielen Fragezeichen versehen. In unzähligen Gesprächen mit Ausstellern und Händlern machte sich das Redaktionsteam der „möbel kultur“ ein Bild der Lage. Dabei kristallisierten sich sechs Leitmotive heraus.
1) Macht und Widerstand: Es war zu erwarten, dass der neue Verbandsriese VME-Union weitere Preisvorteile für sich herausschlagen würde. Ganz so einfach sollte dies dann aber doch nicht durchzudrücken sein, denn es regt sich Widerstand. Während die Kastenmöbler schneller Zugeständnisse machten, formiert sich insbesondere im Polstersegment eine Allianz gegen die jüngsten Forderungen – darunter namhafte Größen. Zwei Gründe liegen dem Protest zu Grunde. Zum einen sind die Margen in den vergangenen Jahren in der Industrie immer weiter gesunken. Ein weiteres Einschmelzen von drei, vier oder sechs Prozent ist somit für einige existenzbedrohend. Der zweite Grund ist von noch größerer Tragweite. Jeder Lieferant weiß, dass den Einkaufsabteilungen in Berlin, Wels oder Oberhausen kaum verborgen bleiben würde, wer dem Druck nachgegeben hat. Viele unangenehme Sonderverhandlungen wären in den kommenden Wochen und Monaten die Folge.
2) Intelligenz im Einkauf: Während einige Einkaufskommssionen weiter die Preisspirale drehten, scheinen bei anderen inzwischen andere Themen in den Vordergrund zu rücken. Viele Aussteller bestätigten, dass insbesondere die Giga-Kommission einen sehr konzentrierten Eindruck machte und ungewöhnlich partnerschaftlich über Kapazitäten, Lieferzeiten und Sortimentsvielfalt diskutierte. Der Alno-Schock scheint hier tief zu sitzen. Offenbar realisiert der Handel langsam aber sicher, dass die Lieferantendecke immer dünner wird. Dieter Hilpert bemerkte, dass es deshalb weniger um die Preise der ersten drei montierten Bega-Küchen gegangen sei als um die Frage, wie viele Küchen in welcher Zeit geliefert werden können. Noch scheinen die Kapazitäten im Polster- und Wohnsegment gesichert zu sein. Doch eine langfristige Planung bekommt in allen Warengruppen immer größere Bedeutung. Möbeleinkauf muss heute andere Aspekte mit einbeziehen als in der Vergangenheit. Mit anderen Worten: Der Einkauf wird komplexer.
3) Schnell, schneller, am schnellsten: Tempo wird zum großen Wettbewerbsvorteil. Wartezeiten von mehr als acht Wochen sind spätestens seit dieser Messe nicht mehr State-of-the-Art. CS Schmal versuchte dem stationären Mittelstand zu erklären, warum gerade der kleinformatige Handel vom Dropshipping profitieren kann. Brema verpackt ganze Esszimmer in 90 Kilogramm schwere Boxen, die somit für jeden Versandweg optimiert sind. Für Volker Halbe von Germania ist Tempo seit seinem Antritt eines der Schlüsslthemen. Allerdings erreicht die Erkenntnis nun auch das Premiumsegment. Musterrings Schnelllieferprogramm steht symptomatisch dafür.
4) Hersteller mit neuen Warengruppen: Deutlich wurde auf der Messe zudem, dass die Konzentration auch auf Industrieseite weiter zunimmt. Das heißt, die Hersteller die in ihren angestammten Sortimenten gut unterwegs sind oder schon zu den Marktführern zählen, weiten ihr Angebot weiter aus. Allen voran wurde in diesem Punkt über RMW sicherlich am meisten gesprochen. Der Systemmöbelspezialist bietet ab sofort auch Schlafzimmer an, was von Seiten des Handels und der Verbände gut bewertet wurde. Bei der 3C-Gruppe in Rheda-Wiedenbrück punktete Candy zudem mit dem neuen Thema Dining – und auch Betten wurden auf der stilvoll inszenierten Fläche erstmals präsentiert. Massivholzspezialist Hartmann hatte zum ersten Mal auch Garderoben im Programm und MCA erweiterte sein Sortiment um Ethno-Möbel, die unter dem Label „MCArtWood“ laufen. Premiere bei Bega in Lügde hatten jetzt auch Babyzimmer sowie montierte Küchen von Black Red White. Für kleinere Anbieter heißt es deshalb sicherlich noch mehr als bisher, Nischen zu besetzen und sich weiter zu spezialisieren.
5) China in Not: Es ist dramatisch, was sich in China momentan abspielt. Mehrere Faktoren sorgen momentan für ein regelrechtes Massensterben der Industrie. Zum einen sind die Glas- und Stahlpreise in den vergangenen Monaten erheblich gestiegen, zum anderen haben die Lohnkosten angezogen. Noch schwerer wiegen aber neue Gesetze, die in vielen Provinzen harsche Umweltschutzauflage durchsetzen sollen. Viele Industriebetriebe müssen deshalb in neue Maschinen investieren. Wer das kann, muss die Preise anheben, wer das nicht kann, muss zuschließen. Denn die Staatsorgane kennen keine Gnade und es wird berichtet, dass erste Manager bereits im Gefängnis sitzen, weil sie einfach weiter produzieren ließen wie bisher. Auf der Messe in Shanghai waren Preiserhöhungen von mindestens 20 Prozent die Regel. Im Inland scheint das sogar noch zu funktionieren, weil die Chinesen gerade viel konsumieren, für Importeure werden die Geschäfte dagegen schwer, wenn nicht gar unmöglich. Den Möbelproduktionsstandort Europa wird die Entwicklung in China hingegen weiter stärken.
6) Licht und Schatten bei Produktinnovationen: Während eine Hälfte der Ausstellerschar eher auf Sicherheit setzte und Erfolgsmodelle auffrischte, erinnerten sich andere daran, was Produktentwicklung im eigentlichen Sinne bedeutet. Positiv zu erwähnen ist dabei Wellemöbel mit vielen cleveren Detaillösungen. Auch der Einsatz von Mattlacken eröffnet der Sommermeyer-Mannschaft neue Möglichkeiten. Im Wohnsegment ist inzwischen deutlich zu erkennen, wer im engen Austausch mit den Zuliefereren steht. Einige können über die Vor- und Nachteile der aktuellen Kollektionen von Schatt- und Interprintdekoren detailliert Auskunft geben, andere wissen nicht so genau, von wem die eingesetzten Folien eigentlich stammen. Weitere Trends im Ticker: Eiche führt weiter bei den Hölzern, bei den Dekoren überzeugen Honig- und Hickory-Eiche +++ Beton-, Stein- und Marmor-Nachbildungen sind weiterhin gefragt, sollten allerdings dezent eingesetzt werden +++ Systemlösungen gibt es selbst im SB-Bereich, dann allerdings mit kleinem Typenumfang. Polstermöbel werden wieder organischer (je höher die Preislage) +++ Highlights gab es zu sehen bei Quadrato (umfangreiche Konzeptfläche), Mäusbacher (Wohnprogramme), M2 (Kleinmöbel aus Asien), Easysofa (Standpräsentation) und vielen anderen. Der neue Forte-Showroom verdient natürlich eine extra Erwähnung.
Nun heißt es durchatmen und weitermachen. Denn die Verbandsmessen, die KHG-Musterung (Höffner) sowie die Hausmessen in Oberfranken und Süddeutschland stehen bevor. Die M.O.W. 2017 gibt aber genug Anlässe positiv in die wichtigste Möbelsaison zu gehen. Der September läuft bisher ausgesprochen gut und die Aussteller präsentierten das Thema Einrichtung in so vielen Facetten, dass für die Möbelkäufer in den kommenden Monaten genug Anreize geschaffen werden können. Die ausführlichen Nachberichte mit allen Produkthighlights lesen Sie wie gewohnt in den kommenden beiden Ausgaben der „möbel kultur“.